Warum „lustvoll“ Nein-Sagen?
Nein-Sagen ist in unserer Gesellschaft tabuisiert. Nein gilt als unbequem, unhöflich, störend, im Bereich der Sexualität außerdem als unsexy, prüde, kompliziert. Nein-Sagen macht so meistens keinen Spaß und kostet immer wieder viel Kraft.
Mich interessiert aber ein Umgang miteinander, der einvernehmlich ist. Wie stellen wir gemeinsam Atmosphären her, die sich wohlwollend, willkommenheißend und wertschätzend anfühlen, so dass Menschen sich trauen zu sich zu stehen, sich zu zeigen und ihr Potential zu entfalten? Wie schaffen wir einen Raum, in dem es sich angenehm oder sogar lustvoll anfühlt, Nein, aber auch Ja zu sagen? Ich glaube, dass die meisten Menschen danach Sehnsucht haben.
Das Entstehen von solchen Atmosphären ist oft ein Kreislauf: Je mehr Menschen in einem Raum sich trauen sich zu zeigen und zu sich zu stehen (oder auch „authentisch zu sein“), sich verletzlich zu zeigen, wohlwollend mit anderen umzugehen, Begegnungen und Dynamiken aktiv zu gestalten, desto mehr entsteht eine Atmosphäre, die andere einlädt das Gleiche zu tun. Ein ganz wichtiger Teil davon ist Nein-Sagen. Das gilt im öffentlichen Leben, aber auch in der Sexualität.
Es gibt viele verschiedene Sorten Nein. Das Notfall-Nein ist eines davon und es verdient allerhöchsten Respekt und Wertschätzung! Es ist die absolute Basis, um überhaupt sicheren Sex haben zu können und selbst das ist für viele von uns nicht immer leicht.Das Notfall-Nein heißt: Stopp. Nichts geht mehr. Schluss und keine Diskussionen.Dieses Nein ist wichtig für Situationen, in denen eine Grenze zum Greifen nah oder schon überschritten ist. Grenze kann dabei natürlich auch ein subjektives Gefühl von Unsicherheit sein und ist nicht von außen verhandelbar.Wichtig ist das Notfall-Nein auch, wenn wir – wie ich in diesem Beitrag – uns auf Begegnungen konzentrieren, in denen alle Beteiligten an Einvernehmlichkeit interessiert sind. Auch dann ist es wichtig, anzuerkennen, dass andere Menschen und eventuell auch wir selbst Grenzen haben können, die nicht vorhersehbar sind.
In einer Sexualität, wie ich sie meine, die sich frei, spielerisch und einvernehmlich anfühlt, gibt es aber auch noch andere Neins. In einer Sexualität, die wie ein Spaziergang oder ein Ausflug, ein Abenteuer oder intensives Spiel ist, gibt es auch ein „nö, lieber nicht“, oder „lieber da lang als da lang“, „danke für’s Angebot, grade nicht“, „nein, ich hab mich vertan, das fühlt sich doch nicht so schön an, wie ich dachte“,, „total gerne, aber lieber ein anderes Mal“ und immer auch „lass uns mal eine Pause machen“. Außerdem gibt es auch Neins, die nur deswegen auftauchen, weil es ein starkes Ja zu etwas anderem gibt und jemand zur eigenen Vorliebe steht. Wenn ich weiß, was ich eigentlich lieber wollen würde, kann ich zu einer anderen Möglichkeit Nein sagen, auch wenn die vorgeschlagenen Tätigkeit ebenfalls angenehm wäre. Verschiedene und undramatische Neins zu etablieren nimmt dem Thema Nein an sich sehr viel Schwere. Nein zeigt dann nämlich nicht immer nur einen Notfall oder Beinahe-Notfall an, sondern kann als allgemeiner Ausdruck von Gut-Bei-Sich-Sein und Selbstfürsorge gelesen werden. Nein wird zu einem selbstverständlichenTeil von ehrlicher Kommunikation und verbindlichem Kontakt und davon, dass jemand Verantwortung für sich und die Situation übernimmt. Nein kann dazu gehören, eine Begegnung aktiv zu gestalten und zwar genau deshalb, WEIL dieser Kontakt und die andere Person wertgeschätzt werden. Die Alternative zum Nein-Sagen ist oft, sich innerlich oder äußerlich aus einer Situation oder einem Kontakt zurückzuziehen und aus dem Kontakt zu gehen. Die andere Person fühlt den Kontaktentzug, hat aber keine Möglichkeit zu wissen, was ihn ausgelöst hat. Nein kann ein Ja dazu sein in Kontakt zu bleiben. Ein Nein wird deswegen im besten Fall sogar zu einem Geschenk an die andere Person, über das man sich sehr freuen kann.
In meiner Erfahrung und in meinen Workshops erlebe ich immer wieder, wie sehr ein wirkliches Ja das Nein braucht. Ein echtes Ja ist komplett freiwillig. Freiwillig Ja sagen kann ich aber nur, wenn ich mir sicher bin, dass ich auch Nein sagen kann und dass das genauso in Ordnung ist.
Das hat einerseits eine individuelle Komponente: was sind meine eigenen verinnerlichten Glaubenssätze und Ängste, die mich vom Nein-Sagen abhalten? Habe ich zum Beispiel Angst davor, die andere Person zu verletzen oder mich selbst verletzlich zu zeigen? Finde ich mich selbst zu kompliziert oder habe ich bestimmte Bilder von Normalität im Kopf, denen ich gerne entsprechen würde? Habe ich gar so viel Angst davor, dass mein Nein nicht akzeptiert werden könnte, dass ich es lieber erst gar nicht ausdrücke? Für manche Menschen ist das Nein-Sagen ein größeres Risiko als eine Grenze nicht zu benennen. Manchmal fühlt es sich schlimmer an, wenn Grenzen übergangen werden, die vorher klar ausgesprochen waren, als wenn sie erst gar nicht so deutlich gezogen worden sind.
Andererseits liegt es an der anderen Person und an der Atmosphäre, die die Beteiligten gemeinsam herstellen. Muss ich Angst haben, mich stundenlang erklären zu müssen, wenn ich etwas nicht will? Ist die andere Person möglicherweise total verletzt? Muss ich im schlimmsten Fall noch emotionale Unterstützung für die andere Person leisten, wenn es mir in einem Moment nicht gut ging, und ich Nein gesagt habe? Werde ich gar verbal angegriffen, überredet oder als komisch dargestellt? Das erzeugt Hemmschwellen, in denen Nein höchstens als Notfall-Nein vorkommt. Wenn jemand also schon total „weg“ ist, „den Körper verlassen hat“, es einer Person emotional schlecht geht oder jemand Schmerzen oder Übelkeit spürt, sagt er oder sie vielleicht Nein, bis dahin wird ausgehalten. Etwas weit verbreitet Verrücktes daran ist, dass sehr viele Menschen, die das „für andere“ so mit sich selbst machen, niemals wollen würden, dass andere das ihnen zuliebe tun. Aber oft geschieht es, dass beide gleichzeitig oder abwechselnd vermeintlich für die andere Person ihre Grenzen und Bedürfnisse ignorieren. Dadurch kann leicht ein Gefühl entstehen, dass die andere Person „etwas schuldet“ und die Kommunikation wird unklar und diffus, weil beide kein klares Gefühl für sich und das Gegenüber mehr haben.
Das bedeutet nämlich nicht nur, dass wir selbst besser und klarer Nein-Sagen üben sollen, sondern auch zu lernen, mit den eigenen Themen umzugehen, wenn wir selbst ein Nein bekommen. Die meisten Menschen scheinen Angst davor zu haben, ein Nein zu bekommen. Wir haben Angst vor Zurückweisung, davor, etwas falsch zu machen und davor die andere/n Person/en zu verletzen. Und das ist sehr verständlich! Für diese Unsicherheit gibt es „Zehn Tipps, um ein besserer Liebhaber zu werden“ und ähnliche Ratgeber. Es wird suggeriert, dass es ausreicht sich individuell fortzubilden und Techniken zu lernen, um gut im Bett zu sein. Diese Logik geht davon aus, dass „Gut-im-Bett-sein“ eine Performance ist, und sehr wichtig für den eigenen Status. Mir geht es in meiner Arbeit um genau das Gegenteil: Von der Performance beim Sex weg zu kommen (oder sie freiwillig als Spiel zu wählen). Es ist wichtig, sich klar zu machen, dass jeder Körper, jeder Mensch, jeder Tag und jede Geschichte anders sind. Wenn es überhaupt eine Definition für “Gut-im-Bett-sein“ gibt, dann ist es meiner Meinung nach, dass man gut bei sich und gut bei der anderen Person sein kann, in Kontakt ist und die Kommunikation klappt. Und auch das geht nur gemeinsam. Jeder Mensch mag andere Berührungen und findet andere Körperstellen erotisch. Die eine Person dreht fast durch, wenn man ihren Bauch küsst, eine andere findet das albern und ist peinlich berührt, wenn man es versucht. Das kann man aber vorher nicht wissen. Und wenn man sich nicht komplett lähmen lassen will, führt kein Weg daran vorbei, es herauszufinden. Selbstverständlich gibt es beim Herausfinden immer wieder Neins, aber auch Jas und immer wieder Überraschungen und Neues. Denn wenn wir uns selbst und jemand anderes wirklich kennenlernen wollen, müssen wir uns vor wagen und Dinge ausprobieren oder vorschlagen, von denen wir noch nicht wissen, wie die Reaktion ist. Immer wieder gilt es, auch einen „Vielleicht“- Bereich zu betreten, in dem noch offen ist, ob sich etwas zu Nein oder Ja entwickelt. Dafür brauchen wir das Feedback der anderen Person, dafür braucht die andere Person ein ehrliches Feedback von uns. Und damit sich eben dieses Experimentieren und Erweitern sicher und lustvoll anfühlt, ist das Nein als Basis so wichtig. Wenn man von jemandem ein Nein bekommt, kann das auch heißen, dass die andere Person darauf vertraut, dass man ein ehrliches Interesse an ihrem Wohlergehen hat, und der Person, die das Nein bekommen hat zutraut, mit eventuellen Unsicherheit, die das Nein auslöst umzugehen. Natürlich gibt es auch Erfahrung und Empathie, die uns helfen. Aber auch Erfahrung funktioniert nicht als auswendig gelernte Performance, die von einer zur anderen Person übertragen werden kann, sondern nur mit Kontakt.
In einer Atmosphäre, in der Nein willkommen ist kann sich Nein-Sagen selbstverständlich, lustig, erotisch, lustvoll anfühlen. Räume für Experimente und Loslassen gehen auf. Und wenn in meinen Workshops ein Funken davon überspringt, bin ich immer wieder sehr froh.
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