Das Labor für ungelöste Fragen und Konflikte
Manchmal gibt es Konflikte in Beziehungen mit anderen Menschen oder sich selbst, die sich nicht lösen lassen. Oder nicht sofort. Oder nicht durch weiter darüber reden. Oder nicht durch Regeln.
Diese Dinge kann man ins „Labor“ tun.
„Das Labor“ ist ein imaginärer Raum, den man bewusst schafft um etwas reifen zu lassen und um mit etwas ohne Erfolgsdruck experimentieren zu können.
Dadurch, dass man den Raum „Labor“ gemeinsam erschafft ist es etwas komplett anderes, als Konflikte auszusitzen oder zu ignorieren. Man erkennt im Gegenteil an, dass es etwas Ungelöstes gibt, für das sich alle Beteiligten Lösung wünschen. Man gibt sich selbst und anderen die Erlaubnis, mit verschiedenen Parametern zu experimentieren, ohne perfekt sein zu müssen, zeigt seine Intention, zur Lösung beizutragen und kann diese Bereitschaft in anderen sehen. Die Beteiligten geben zu, dass sie keine Lösung haben, dass sie hilflos sind und hören auf, mit sich und miteinander zu kämpfen. Sie lassen los und steigen gleichzeitig neu ein. Entspannung setzt ein und die wiederum ist der beste Nähboden für wohlwollende Kreativität.
Man kann verschiedene „Versuchsanordnungen“ ausprobieren und immer wieder Versuchsauswertungen machen. Ziel des Labors ist es, dass sich eine möglichst große Näherung an einen für alle zufriedenstellenden Zustand finden lässt. Dieses Ziel fördert einen aufrichtigen Austausch und ein aufmerksames Hinhören. Denn nur wenn alle Bedürfnisse offenbar sind, kann jede*r Beteiligte Vorschläge machen, die für alle gut sind.
Durch diesen extra Raum können Konflikte einerseits bewusster bearbeitet, andererseits weniger raumgreifend im Alltag werden.
Das Labor kann zaubern, denn es fördert alles, was normalerweise bei Konflikten leicht auf der Strecke bleibt. Gegenseitiges Verstehen, Kontakt, Experimentierfreude, Freiheitsgefühl, Zusammenarbeit, Commitment, Gemeinschaft, Vertrauen. Im besten Falle kann an die Stelle von Resignation und Verzweiflung Neugier und Verbundenheit treten. Manchmal fühlen sich Konflikte allein dadurch gelöster an, dass sie ins Labor verlagert werden. Denn dadurch verschiebt sich das Miteinander von Konkurrenz zu Kooperation.
Wenn man etwas ins Labor tun will, ist es gut, allen Seiten zuzuhören, wie sie das Thema sehen und fühlen, aber nicht mehr zu diskutieren. Es muss nicht vollständig sein, denn es können auch später noch Aspekte dazu kommen oder wegfallen. Dann wird ein Thema eingegrenzt oder ihm einen Titel gegeben. Das kann ruhig vage sein, solange alle Beteiligten ein klares Gefühl dazu haben, worum es geht: „ Verlustangst und Freiheit“ oder „der Nerv mit den unterschiedlichen Geschwindigkeiten“, „Aufräumen“, etc . Das sollte ein Titel sein, der keiner beteiligten Seite mehr Verantwortung für das Thema zuschreibt als einer anderen, sondern es als gemeinsames Thema anerkennt.
Es ist hilfreich zu klären, ob man regelmäßige Versuchsauswertungen machen möchte und bei Bedarf schon Termine festzulegen. Das ist ebenfalls oft hilfreich, wenn eine Seite Angst hat, dass durch die Auslagerung ins Labor ihr Anliegen aus dem Fokus gerät. Dann ist es absolut notwendig, dass eine andere Person als die ängstliche auf die Einhaltung der Termine achtet und damit Verantwortung für den gemeinsamen Prozess übernimmt. Es ist möglich, neue Versuchsanordnungen vorher abzusprechen oder sich einfach die Erlaubnis zum respektvollen und kreativen Experimentieren zu geben. Wenn eine andere Person sich plötzlich unvorhergesehen verhält ist das wahrscheinlich ein Versuch, etwas Produktives zum gemeinsamen Experiment beizutragen. Wohlwollen, Geduld und Humor lohnen sich. Im Labor geschieht sowohl ein Experimentieren mit den Reaktionen der anderen, der gesamten Versuchsanordnung (dem System), aber auch mit sich selbst. Was verändert sich, wenn ich an einer kleinen Stellschraube drehe? Wenn jemand anders etwas verändert? Wie fühlt sich das an?
Auf der Gehirn-Ebene passiert auch etwas Unvorhergesehenes: durch das „wissenschaftliche“ Setting wird der analytische Teil des Gehirns angesprochen, der in emotional aufgeladenen Konflikten normalerweise zu kurz kommt. Dieser Teil ist dazu da, Strukturen zu sehen und zu schaffen. Er kann im Angesicht von emotionalen Tumult Ruhe bewahren und größere Zusammenhänge sehen. Die Emotionen dürfen und sollen alle weiterhin sein, durch das Labor bekommen sie einen Rahmen.
Was man nicht machen darf ist, dem Labor ein konkretes Wunschziel zu setzen: „Wie ich herumvögeln kann, ohne dass die andere Person Verlustängste hat“, „wie endlich alle zur Sauberkeit der Küche beitragen“. Davon abgesehen, dass das respektlos wäre, verhindert es auch ein echtes Wachsen und Lösen, das gerade dadurch entsteht, dass keine der beteiligten Person vorher die Lösung kennt, sich aber alle auf den Prozess des Ungewissen einlassen. Erst dadurch wird das Labor eine gemeinsame Erfahrung in der man miteinander wachsen kann.
Natürlich kann man das Labor auch als Ritual nutzen, in dem man ihm einen physischen Ort gibt, an dem symbolische Gegenstände der Beteiligten liegen, die das Problem und den Willen zur Lösung symbolisieren. Dieser Ort kann aufgesucht, die Schachtel hervorgeholt werden, die Zettel verbrannt, die Gegenstände erneuert werden wenn das Experiment fortschreitet. Vielleicht ist das Experiment irgendwann beendet. Vielleicht wird es wiederholt oder nie ganz abgeschlossen. Im Idealfall ist in jedem Fall auf der Metaebene etwa wichtiges passiert: Beziehungsebene und Gemeinschaft sind genährt und gestärkt worden.
0 Kommentare